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     07.02.2007

Bundesjustizministerin Zypries
- Berliner Rede zur Religionspolitik

Zitat:
Der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat die Entstehung des modernen Staates nicht nur aus der Säkularisierung, also der Ver-Weltlichung, gedeutet. Er hat daraus schon vor über 30 Jahren seine berühmte Schlussfolgerung gezogen, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Die inneren Bindungs- und Regulierungskräfte der Freiheit, also das Wir-Gefühl oder der Kitt einer Gesellschaft, dies ließe sich nun einmal nicht mit Recht und Gesetz anordnen. Diesem Verständnis entsprach es, wenn sich in der alten Bundesrepublik ein damaliger Bundeskanzler nur als „leitender Angestellter der Republik“ begriff, sich aber für unzuständig erklärte, wenn es um die Wertorientierung der Gesellschaft ging. Dass Helmut Schmidt durch seine Persönlichkeit gleichwohl wertbildend gewirkt hat, steht auf einem anderen Blatt.

Ich frage mich, ob wir uns diese Passivität des Staates an diesem Punkte weiterhin leisten können. Sicher, im freiheitlichen Staat kann es keine verordnete Leitkultur geben. Aber fördern kann der Staat die Ausbildung von Kultur und Werten schon – und zwar nicht zuletzt in der Schule. Dort muss mehr als nur Wissensvermittlung geleistet werden. Wie steht es dabei mit der Religion? Denkbar wäre eine strikte Trennung von Religion und Schule. Aber das macht wenig Sinn, denn man kann einen wichtigen gesellschaftlichen Faktor wie die Religion nicht einfach am Schultor aussperren. Die Schulen müssen hier so vielfältig sein, wie das Leben selbst. Deshalb wäre es auch wünschenswert, wenn wir bald einen Islamunterricht hätten – gleichberechtigt mit dem christlichen, erteilt von gut ausgebildeten Lehrern und in Übereinstimmung mit den Lehrplänen und Schulgesetzen.

Die Religion ist aber nicht die einzige Quelle von Werten einer Gesellschaft. Die Kirchen haben deshalb in der Schule keinen Monopolanspruch auf die Wertorientierung junger Menschen. Gerade weil die Religionsgemeinschaften die Kinder nach Bekenntnissen trennen, muss der staatliche Unterricht auch Foren der Integration schaffen. Rechtskunde und Politik, ’Werte und Normen’ oder Ethik – all solche Fächer sind eine gute Gelegenheit zur Verständigung über Grundüberzeugen, zur Vermittlung und zum Erlernen von Werten. Dort können die Schüler auch über die Religionen etwas erfahren, denen sie nicht angehören. Nur wenn sie auch die anderen Religionen kennen, können sie sie verstehen und ihnen mit Respekt begegnen. Deshalb sollten alle Schüler über alle Religionen etwas lernen – und zwar gemeinsam und nicht bekenntnisorientiert.

Wir dürfen deshalb den bekenntnisgebundenen Unterricht nicht ausspielen gegen Fächer, die allgemeine Kenntnisse über Religionen vermitteln. Es geht nicht um ein ’entweder - oder’. Ich meine, wir brauchen beides. Die Einführung eines Pflichtfaches Ethik hier in Berlin ist deshalb kein „Anschlag auf die Religionsfreiheit“ wie manche meinen. Aus der Freiheit für Religionsunterricht lässt sich keine Freiheit von Ethik-Unterricht konstruieren. Es gibt keinen Exklusiv-Anspruch der Religionen auf einen Werte-Unterricht. Gerade wegen der Vielfalt der Bekenntnisse muss der Staat auch in den Schulen durch gemeinsame Werte-Unterrichte die gesellschaftliche Integration noch stärker fördern.

Die komplette Rede finden Sie unter: BMJ - Reden —»

 

 


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