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     8. März 2004

Meldungen und Meinungen zum sogenannten "Kopftuchstreit"

Texte aus dem Internet-Forum des Fachverband



Bundespräsident Rau im Gespräch mit der Welt am Sonntag:
WamS: Was bedeutet das im Hinblick auf den aktuellen Streit um das Kopftuch in Schulen? Sie haben mit Ihren Äußerungen dazu ja auch Kritik erfahren...

Rau: Ja, allerdings hat mancher Kritiker offenbar nur die Überschriften gelesen. Ich habe mich ja nicht für oder gegen Kopftuch-tragende Lehrer ausgesprochen. Ich weise allerdings darauf hin, dass die Entscheidungen, die jetzt in den Ländern dazu getroffen werden, auch konsequent sein sollten. Das heißt: Wenn man das Kopftuch als religiöses Erkennungszeichen an Schulen verbietet, kann man die Mönchskutte nur schwer verteidigen. Unsere Verfassung gebietet eine Gleichbehandlung der Religionen im öffentlichen Raum, also auch in den Schulen. Damit wird ja nicht unser christliches Erbe in Frage gestellt. Ob wir weiterhin ein christliches geprägtes Land bleiben, hängt nicht davon ab, wie viele Menschen in Schulen welche Bekleidung tragen. Das hängt allein davon ab, wie viel überzeugte und glaubwürdige Christen es in unserem Land gibt.


Betreff: Religiöse Symbole
Die neueste Äusserung des Bundespräsidenten wird tatsächlich von manchen verkürzt verstanden. Sie ist aber richtig und wichtig. Die Angst vor Überfremdung spielt oft eine grosse Rolle. Deshalb halte ich die Stärkung des (christlichen) Selbstbewusstseins für besonders wichtig. Mir scheint es auch notwendig, dass in der Begegnung mit Moslems ernsthaft die Trennung von Religion und Politik gefordert wird-, und so wie Toleranz bei uns erwartet wird, sollte sie auch in Ländern des Islams (von Moslems) gefordert werden.
Walter Portmann


1. Meldung vom 7.1.04:
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat seine zunehmende Sorge über die Kopftuch-Debatte in Deutschland ausgedrückt. Das Problem dürfe nicht mit einem generellen Ausschluss religiöser Symbole aus dem öffentlichen Dienst gelöst werden.
Das ZdK erklärte, dass man die Etablierung einer säkularen Kultur und einer religionslosen Gesellschaft per Gesetz in Deutschland nicht hinnehmen werde. Notfalls werde man die Christen dazu aufrufen, sich einer Verdrängung des Christentums in die Privatsphäre mit allen Mitteln, «die heute in einer freiheitlichen Demokratie als zulässig gelten», zu widersetzen. Beim Kopftuchstreit gehe es nicht um Religion, sondern um die Gleichberechtigung der Frau.


2. Meldung vom 7.1.04:
«Das Kopftuch wird ausschließlich als politisches Symbol an den Schulen verboten», sagte der niedersächsische Regierungssprecher Olaf Glaesecker am Mittwoch in Hannover. Das solle verhindern, «dass es zu einer Gleichsetzung mit dem Kreuz kommt». Das Kabinett werde nächste Woche den entsprechenden Entwurf einer Änderung des Schulgesetzes verabschieden, hieß es. An Hochschulen werde es kein Kopftuchverbot geben.
Auf eine Frage hin sagte Bräth, in einer Mönchskutte oder auch mit der jüdischen Kippa (Käppchen) dürfe weiter unterrichtet werden. Das Judentum stehe wie das Christentum in der abendländischen Tradition. Im islamischen Religionsunterricht solle das Kopftuch erlaubt sein. Auch bei muslimischen Referendarinnen könne wegen des Ausbildungsmonopols des Staates eine Ausnahmeerlaubnis zum Kopftuchtragen notwendig werden.


3. Meldung vom 7.1.04:
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, kritisierte die Kopftuch-Debatte als zu oberflächlich. Laut einem Vorabbericht der «Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung» vertrat Spiegel auch die Auffassung, dass ohne Not allzu schnell massiv in die verfassungsmäßigen Grundrechte eingegriffen werde. Es sei ein «Trugschluss zu glauben, damit den Fundamentalismus und den politischen Missbrauch von Religionen bekämpfen zu können». Die Frage, ob ein Kopftuch ein religiöses Symbol sei, sei noch nicht geklärt.


NEIN zum konflikthaft-aufdringlichen und irrigen Geschlechter-Signal - Ein Klärungsbeitrag

1.) Im Rahmen der christlich geprägten kulturellen Traditionen Europas war und ist der Gebrauch oder Nicht-Gebrauch eines Kopftuchs, religiös und politisch gesehen, belanglos. Mit ihm verband sich zumindest keine religiös-politisch geladene Bekenntnis-Tradition. Das Kopftuch wird hier ganz vorrangig funktional als Kopf- und Haarschutz gesehen. Eine dem Mann untergeordnete Rollen-Vorstellung wurde mit einem Kopftuch bisher jedenfalls nicht signalisiert. Ein juristischer Streit, wie er anno 2003 vor dem BVerfG ausgetragen wurde, wäre als lächerlich erschienen. Erst im Zeichen der Begegnung mit islamischen Rechtstraditionen und deren missionarischen Präsenz-Signalen müssen wir uns als Bürger - mehr oder minder plötzlich - damit vertraut machen, dass "Äußerlichkeiten" in anderen Kulturen ggf. anders gedeutet, beurteilt und gewichtet werden als in der Kultur Europas. Als Bürger müssen wir heute die Naivität einer spontanen Selbstbezogenheit hinter uns lassen und lernen, bestimmte Sachverhalte auch aus der Perspektive, mit den Augen und den Wertungen einer anders geprägten Kultur zu sehen. Die Fähigkeit zu einem solchen Perspektivwechsel bedeutet aber nicht, dass man sich ihm beugen müsste. Vielmehr entsteht erst so der Zwang zur Sachklärung darüber, was wir selber langfristig kulturell "wollen" - und was ggf. nicht.

2.) Aus religionsgeschichtlicher und religionswissenschaftlicher Sicht stellt das "islamisch-islamistische Kopftuch" im Islam kein klassisches "Symbol" dar: weder als ein Zeichen der Vergegenwärtigung von inhaltlich zentralen Lehren ("Lehr-Symbol") noch als Identifikations-Merkmal der muslimischen Religionsgemeinschaft insgesamt - anders als der Halbmond oder der Krummsäbel. (Vgl. die Schaffung des "Roten Halb­mond" als islamische Analogie oder Alternative zum "Roten Kreuz"; vgl. auch die Flagge Saudi-Arabiens: der Säbel als echtes und sprechendes Kampf-Symbol.)

3.) Bei dem charakteristischen "islamisch-islamistischen Kopftuch" handelt es sich zunächst um ein äußeres Erkennungs-Merkmal einer kulturellen Lebenstradition (kein Symbol). Dies zunächst rein äußerliche Merkmal wurde aber in Teilen der islamischen Tradition aufgewertet und als präzises Signal mit Hinweis-Charakter benutzt: Es signalisiert - mit der Erinnerung an die geschlechtsspezifische Realität des Frauseins - im islamischen Kulturkreis die soziale Rechtsstellung unter dem Manne. Diese soziale Rollenzuweisung beruft sich ihrerseits auf das zentrale Glaubenszeugnis des Islam, den Koran. Erst so bekommt dieses Thema seinen behaupteten religiösen Charakter. Schließlich verbindet sich mit diesem religiös-soziologischen Bezugspunkt auch ein politischer Machtanspruch und Durchsetzungswille, erkennbar spätestens seit dem Machtantritt des Politischen Islam im Iran. Dies darf aus der Wahrnehmung nicht ausgeklammert werden. Das islamisch-islamistische Kopftuch transportiert also mehrschichtige Realitäten und eine komplexe soziokulturelle Identität. Diese hat, gemessen am Menschenbild und an der politischen Ordnung des GG, sehr bedenkliche Facetten, die zu einer Konfrontation führen. Erst dies machte es zum Politikum.

4.) Das umstrittene Kopftuch ist somit weitaus mehr als ein "äußeres" Erkennungsmerkmal. Mit ihm wollen einzelne Personen und Institutionen spezifisch islamische Lebensvorstellungen (auf der Basis einer wahhabitischen Koran-Deutung) europaweit langsam für Muslimas normativ machen.
Ihr Rechtsstreit zielte darauf, ihr islamisches Frauenbild auch politisch-rechtlich aufwerten und würdigen zu lassen. Insofern geht es im Kopftuch-Streit um eine exemplarische Auseinandersetzung. Das Kopftuch wurde als "Symbol 2.Ordnung" zu einem religiös-politischen Bekenntnis-Signal und aufgrund seiner schillernd-mehrdeutigen Aussage zum Streit-Objekt (nur so ist es Streit-"Symbol"). Seit­dem Frau Ludin und islamische Institutionen wie der ZMD für das pädagogisch allgegenwärtige Präsenz-Recht kämpfen, ist klar: es geht ihnen nicht um beliebige Kopftücher, die man ggf. auch jederzeit ablegen darf. Die persönlich fixierende und kulturelle Aufdringlichkeit liegt darin, dass es in der Öffent­lichkeit dauerhaft getragen werden muss und ethischen Norm-Charakter beansprucht!

5.) Nicht vergleichbar mit dem umstrittenen islamisch-islamistischen Kopftuch ist etwa die Soutane, das Priester- und Pastoren-Kollar oder eine Diakonissenhaube. Hier geht es nur um eine berufsspezifische Kleiderordnung mit Signal-Charakter, nicht um Sinn-Symbolik: Sie signalisiert zwar ein religiöses Bekenntnis, hat aber nicht die Tendenz, jedermann (resp. in diesem Fall: alle Christen) zur Nachahmung zu animieren! Bei der Propagierung des Kopftuchs im Sinne von Frau Ludin und des ZMD hingegen geht es nach Tendenz und Intention darum, ganz generell und geschlechtsspezifisch das Bild aller islamischen Frauen normativ zu bestimmen und unter männ­liche Autorität und Macht zu stellen! - Noch weitaus weniger vergleichbar ist dies alles mit der jüdischen Tradition des Kipa-Tragens beim Gebet und im Gottesdienst: Die Kipa verweist als Gegenstand auf einen ganz situativen und zeitlich begrenzten "Referenz-Gestus", ist aber kein sinnbildhaftes "Symbol".

6.) Eine unkritische, naive Akzeptanz dieses speziellen Kopftuchs als "bloß religiöses" Bekenntnis- und islamisch-islamistisches Missions-Signal verkennt die Tatsache, dass es im Islam selbst keine programmatische Trennung von "Religion" und "Politik" gibt. Seine unkritische Akzeptanz im Raum öffentlicher Pädagogik würde die verfassungsmässige Gleichrangigkeit eines Frauenbildes suggerieren, das in Wahrheit der Werte-Ordnung unserer Verfassung widerspricht. Damit wäre die Intention der Verfassung in einem ihrer zentralen Gehalte verletzt! (Das mit dem "Bekenner-Kopftuch" verbundene Frauenbild weist indirekt auch auf das damit einhergehende Bild vom Mann und seiner Beziehung zu Frauen. Wenn "die Frau" vor Männern u.U. bis zur Entpersönlichung ständig abgeschirmt und "geschützt" werden muss ("over­protected"), so beinhaltet und fördert dies zusätzlich das Bild vom erotisch völlig besetzten und schwachen Mann. Die Folge: Gerade damit wird das kreatürliche erotische Interesse der Geschlechter nicht in die Gesamtheit aller Lebensverantwortungen integriert, sondern es wird einerseits - vordergründig - verdrängt, andererseits aber zugleich - unablässig - im Kopftuch-Signal vergegenwärtigt.)

7.) Wer meint, durch ständiges Nachgeben "Ruhe" herzustellen, gibt sich und sein Ethos preis. Die juristische Entscheidung für oder wider die Akzeptanz im Öffentlichen Schuldienst wird sich unter dem GG nicht "am Stofftuch" festmachen lassen, sondern an der Gewichtung des eigenen ethischen Norm-Anspruchs, am Urteil zu einem pädagogisch schillernden Geschlechter-Signal, an der Tatsache seiner inner-islamischen Umstrittenheit sowie an den islampolitischen Darwa-Zielen der Trägerin und ihrer Förderer. Zumindest Pädagoginnen sollten sich für irreführende Geschlechterbilder und für religionsstrategische Zwecke bzw. politisch-religiöse Dauerkonflikte nicht hergeben.

R.-A.Thieke, Pfr. (Bad. Landeskirche) / hauptamtl. Rel.lehrer; 24. 01. 2004

 


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