•      12.01.2021

AIWG veröffentlicht Expertise zu islamischem Religionsunterricht

Titel der Expertise zu islamischem ReligionsunterrichtDie Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) an der Goethe-Universität hat ihre neue Expertise zum islamischen Religionsunterricht in Deutschland veröffentlicht. Die Publikation „Islamischer Religionsunterricht in Deutschland: Qualität, Rahmenbedingungen, Umsetzung“ bietet einen Überblick zu Lehrinhalten und rechtlichen Rahmenbedingungen. Zudem nehmen die Autorinnen und Autoren die konkrete Umsetzung des Schulfachs in ausgewählten Bundesländern in den Blick, darunter Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen.

Religionsunterricht ist das einzige Fach, das im deutschen Grundgesetz verankert ist. Der Staat steht also in der Verantwortung, strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen und personelle Ressourcen bereitzustellen, damit Religionsunterricht in deutschen Klassenzimmern stattfinden kann. Trotzdem haben muslimische Kinder bislang nicht in allen Bundesländern die Möglichkeit, an einem „bekenntnisorientierten“ Unterricht in ihrer Religion teilzunehmen. Aktuell nehmen 60.000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland am islamischen Religionsunterricht beziehungsweise am islamkundlichen Unterricht teil. Das ist nur ein Bruchteil aller muslimischen Kinder und Jugendlichen an deutschen Schulen insgesamt, deren Anzahl auf 580.000 geschätzt wird.

Aus Sicht der Autorinnen und Autoren dominieren in den Diskussionen über den islamischen Religionsunterricht vor allem rechtliche und politische Aspekte: Welche islamischen Organisationen eignen sich als Gegenüber für den Staat? Wie hoch ist das Risiko, dass sich ausländische Einrichtungen in den Unterricht einmischen? Und welche Auswirkungen hätte es, wenn islamische Organisationen als Religionsgemeinschaften anerkannt würden? Bei diesen Debatten kommen Aspekte, die ebenso wichtig sind, oft zu kurz. Den Autorinnen und Autoren zufolge sind das: die Qualität des Unterrichts, die Ausbildung von Standards in der Lehrkräfteausbildung, die fehlende empirische Unterrichtsforschung, der Auf- und Ausbau des islamischen Religionsunterrichts sowie die positiven Effekte, die Religionsunterricht – unabhängig von Konfession oder Glaubensrichtung – für eine Gesellschaft haben kann.

Dazu Dr. Fahimah Ulfat, Professorin für islamische Religionspädagogik an der Universität Tübingen und Mitautorin der Expertise: „Der islamische Religionsunterricht übt eine zentrale Anerkennungsfunktion von religiöser Pluralität in Schule und Gesellschaft aus. Schüler_innen muslimischen Glaubens können sich, ebenso wie ihre Mitschüler_innen christlichen Glaubens, im Unterricht mit ihrer Religion kritisch und reflektiert auseinandersetzen. Ihre Religion wird als Normalität im Kontext Schule anerkannt. Der islamische Religionsunterricht ist in der Schule häufig der einzige Ort, an dem über Islam und Menschen muslimischen Glaubens in einer wertschätzenden Art und Weise gesprochen wird, aber auch an dem über viele religiöse und ethische Fragen, die junge Muslim_innen in Deutschland beschäftigen, offen diskutiert wird. Der Religionsunterricht leistet einen Beitrag zur Bildung, da er zur Aneignung von Wissen, zum Verstehen, zur Perspektivenübernahme und somit zur Handlungsfähigkeit im Sinne von Kommunikation und Partizipation befähigt. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten sind Grundlage für Haltungen wie Toleranz, wechselseitiger Respekt und Anerkennung des Anderen. Dies sind entscheidende Argumente für eine Beibehaltung und den Ausbau des islamischen Religionsunterrichts in einer religionspluralen Gesellschaft.“

Ein Grund dafür ist, dass die meisten Bundesländer aufgrund religionspolitischer Bedenken islamische Religionsgemeinschaften bislang nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt haben. Deshalb gibt es – mit Ausnahme des Religionsunterrichts der Ahmadiyya-Gemeinschaft in Hessen, an dem allerdings nur wenige Schüler teilnehmen, – in Deutschland keinen islamischen Religionsunterricht, für den eine einzelne islamische Religionsgemeinschaft verantwortlich ist.

Stattdessen werden entweder alternative Modelle praktiziert, in denen mehrere islamische Organisationen in übergreifenden Kommissionen, Beiräten oder über lokale Vertreterinnen und Vertreter eingebunden sind. Dies ist zum Beispiel der Fall in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Oder die Bundesländer erteilen eine in alleiniger staatlicher Verantwortung stehende Islamkunde, wie etwa in Bayern oder Schleswig-Holstein. Beide Modelle werfen jedoch verfassungsrechtliche Probleme auf: „Einerseits sieht das Grundgesetz keinen Religionsunterricht vor, der ohne anerkannte Religionsgemeinschaft erteilt wird. Andererseits ist die Gefahr hoch, dass der Staat durch die Erteilung eines Islamkundeunterrichts gegen seine Verpflichtung verstößt, religiös und weltanschaulich neutral zu sein. Denn hier bestimmen staatliche Akteurinnen und Akteure de facto, welche Inhalte einer Religion gelehrt werden sollen und welche nicht“, sagt Dr. Jan Felix Engelhardt, Geschäftsführer an der AIWG und Mitautor der Expertise.
die Publikation (34 Seiten) als pdf-Datei
Quelle: Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt am Main



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